Das Projekt 25 Jahre Berlin- auf dem Weg zur Einheit will an die Geschehnisse von 1989/90 erinnern, gleichermaßen schauend in die Vergangenheit, auf die Gegenwart und in die Zukunft. Was 1989/90 durch Engagement, Zuversicht und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in Ost und West erreicht wurde, ist bis heute prägend für eine Stadt der ungewöhnlichen Möglichkeiten. Anknüpfen wollen wir mit diesem Projekt an die positive Hochstimmung des Aufbruchs von damals, der auch in der heutigen Dynamik Berlins seine emotionalen Entsprechungen findet. Die Stimmung ist in Berlin gegenwärtig so positiv wie selten vorher, ganz deutlich spürbar war dies auch bei den Feierlichkeiten zum Mauerfall mit der Lichtergrenze und der Veranstaltung im Konzerthaus am Gendarmenmarkt am 09. November 2014.

Es herrscht Aufbruchsstimmung. Neue Chancen für Berlin sind sichtbar und sollen erlebbar gemacht werden. Partizipation und Engagement sind Elemente der Demokratie, die wieder neu verstärkt und bewusst gemacht werden können. Darum haben wir als Projektgruppe uns der Herausforderung gestellt, innerhalb eines kurzen Zeitraumes von 3 Monaten diese Veranstaltung zu konzipieren, zu planen und zu organisieren. Das war nur möglich mit der Hilfe und Unterstützung der Senatskanzlei und des Abgeordnetenhauses, die als Veranstalter die wesentliche Umsetzung unseres Konzeptes leisteten und sich tatkräftig einbrachten. Viele Andere haben mit ihrem Engagement,  Zeit und Fähigkeiten und auch durch finanzielle und materielle Unterstützung geholfen. Der Projektgruppe und den vielen Helfern und Mitwirkenden wurde vom Regierenden Bürgermeister und dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses bei der Veranstaltung am 30.05.2015 selbst herzlich gedankt. Ebenso wurde auf besondere Weise den vielen Helfern anläßlich einer Feier im Abgeordnetenhaus durch die Einladung dazu und durch besondere Worte der Anerkennung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses gedankt.

Wir wollen diese Seite ausbauen. Es sollen Zeitzeugen zu Wort kommen, Bilder aus der Zeit der Vereinigung und davor und danach sowie wichtige Dokumente aufgenommen werden. Dies kann eine Seite für Alt-und Neu-Berliner, für Touristen, Schüler und Studierende und viele mehr werden. Dazu können wir jede Hilfe brauchen! Ganz besonders von Menschen, die sich mit unserer Geschichte befassen, die Kommunikation und Visualisierung können und die gerne eine solche Webseite mit gestalten wollen. Wenn Sie uns unterstützen wollen, schreiben Sie uns einfach an info@einheit-berlin.de.

 

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Festveranstaltung '25 Jahre. Berlin auf dem Weg in die Einheit' 

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Blick in die Veranstaltung / Foto: Thomas Platow, Landesarchiv

Im Mai 1990 konstituierte sich die Stadtverordnetenversammlung in Ost-Berlin und der Magistrat wurde gewählt. All das resultierte aus den ersten freien Kommunalwahlen in der DDR am 6. Mai 1990.

Aus diesem Anlass veranstalteten das Abgeordnetenhaus von Berlin und der Senat eine Festveranstaltung unter dem Titel „25 Jahre. Berlin auf dem Weg in die Einheit“. Sie fand am Sonnabend, dem 30. Mai 2015, von 14.00 bis 20.00 Uhr im Berliner Rathaus statt.

Gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller eröffnete Präsident Ralf Wieland die Veranstaltung. Neben einer Talkrunde mit zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten der damaligen Zeit (Dr. Christine Bergmann, Knut Herbst, Dr. Roland Jacob und Elmar Pieroth) fanden Gesprächsforen zu unterschiedlichen Themen statt, die nicht nur auf die Einheitsgeschichte Berlins abzielten, sondern auch gegenwärtige und zukünftige Aspekte des Einheitsprozesses beleuchteten. Teilnehmer dieser Gesprächsforen waren u.a.: Sibylle Volkholz, Thomas Krüger, Prof. Dr. Klaus Finkelnburg, Renate Künast, Erhart Körting, Prof. Dr. Jutta Limbach, Eberhard Diepgen, Ingrid Stahmer, Christian Hoßbach, Walter Momper, Ramona Pop, John Kornblum und Prof. Dieter Schröder.
Der Präsident des Abgeordnetenhauses Ralf Wieland zur Veranstaltung:

„Die Zeit verrinnt. Es ist kaum zu glauben, dass wir uns schon im 25. Jahr nach der Konstituierung von Stadtverordnetenversammlung und Magistrat von Ost-Berlin befinden.

Unsere Veranstaltung möchte zwei Aspekte beleuchten. Zum einen geht es um die Erinnerung, um die Geschichte des Vereinigungsprozesses in der Stadt. Hier soll eine Zwischenbilanz gezogen werden, vor allem unter Mitwirkung vieler Zeitzeugen, die oft auch politische Akteure in der damaligen Zeit waren.

Zum anderen versuchen wir mit unserer Veranstaltung einen Bogen zu schlagen. Einen Bogen, der neben der Geschichte die Gegenwart und Zukunft nicht ausgeblendet. Das verspricht Spannung. Noch bis heute, und vermutlich noch für eine ganze Weile, verharren wir vor allem psychologisch immer noch in einem Prozess der Vereinheitlichung. Insofern lässt sich auch behaupten: Berlin befindet sich auch heute noch auf dem Weg zur Einheit. Und morgen wahrscheinlich auch noch.

Viele Erwartungen an die Einheit haben sich nicht sofort erfüllt. Ich weiß noch, wie wir in Berlin Anfang der 90er Jahre vom prosperierenden Berlin mit 5 Millionen Einwohnern sprachen. Erst seit wenigen Jahren ist unsere Stadt zu einer wachsenden Stadt geworden. Dazwischen lag viel Geduld, die wir alle aufbringen mussten. Vielfach waren es auch zum Teil schmerzliche Entbehrungen. Dabei ging es nicht nur um den Dualismus Ost-West. Es ging vor allem um Integration. Ja, die Einheit war auch von Anfang an ein Integrationsthema.

Ich freue mich, meine Beobachtungen als damaliger Zeitzeuge eines unglaublichen geschichtlichen Vorgangs, den wir Wiedervereinigung nennen, an dem zu spiegeln, wie andere diese Zeit erlebt haben.“
Presseerklärung der Senatskanzlei PIA, 30.05.2015

25 Jahre ist es her: die erste freie Wahl der Stadtverordneten für Ost-Berlin und die demokratische Wahl des Oberbürgermeisters und des Magistrats.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, und der Präsident des Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland, hatten für den 30. Mai 2015, in den Festsaal des Berliner Rathauses eingeladen, um an diesen historischen Meilenstein der Wiedervereinigung Berlins zu erinnern.

Müller: „Die konstituierende Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 28. Mai 1990 und die Wahl des Magistrats am 30. Mai 1990 sind Ereignisse von herausragender historischer Bedeutung. Beides waren markante Ereignisse auf dem Weg zur Einheit unserer Stadt. Die Berlinerinnen und Berliner im Ostteil schafften bei dieser Wahl die Voraussetzungen für die Bildung des inzwischen schon legendären ‘Magi-Senats’ unter dem damaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper und dem leider viel zu früh verstorbenen Oberbürgermeister Tino Schwierzina, der ganz wichtige Weichenstellungen zum Wohl der Stadt vornahm. Berlin hat 25 Jahre nach der gelungenen Wiedervereinigung allen Grund, den Beteiligten in Ost und West dankbar zu sein.“

Im Anschluss an die Festveranstaltung ließen Zeitzeugen in verschiedenen Gesprächsforen die historischen Ereignisse noch einmal Revue passieren.

Bilder des Landesarchivs Berlin zur Veranstaltung von Senat und Abgeordnetenhaus: 

https://www.berlin.de/rbmskzl/aktuelles/rathaus-aktuell/2015/meldung.322200.php

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Veranstaltung "25 Jahre Einheit Berlins"

30.05.2015 15:15, Berliner Rathaus

Wir haben eben eine sehr interessante Gesprächsrunde zu den Einheitsbemühungen in Berlin erlebt. Ich denke, wir können sagen: Es war eine spannende Zeit zwischen dem Herbst 1989 und dem Oktober 1990. Es war das Jahr der gewonnenen Freiheit. Es war das Jahr der Euphorie  Und es war insgesamt ein Jahr, in dem die Improvisation vorherrschen musste. Aber es gab auch Gefühle, die zwischen dem Wunsch nach Einheit und dem Willen zur demokratischen Selbstbestimmung in der DDR hin und her gingen. Jedenfalls auf der Seiten der Aktiven in der DDR.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal kurz erinnern, wie die Ausgangslage war, bevor im Jahr 1989 die Ereignisse sich überschlugen und die DDR zusammenbrach.

In der DDR herrschte die SED als „Partei der Arbeiterklasse“. Sie war mit der Zentralgewalt ausgestattet, gab sich als Motor eines behaupteten objektiv wirkenden Geschichtsprozesses. Daraus leitete die SED für sich eine historische Mission ab. Da die Partei sich auf Seiten der gesetzmäßigen Entwicklung sah, hatte sie notwendigerweise immer Recht.

Nach diesem Selbstverständnis war der Aufbau des Sozialismus ein umfassender Erneuerungsprozess, dessen Anfang durch „das Fegefeuer der Revolution“ charakterisiert ist. Dieser großen Volkserhebung folgen dann in dichter Dynamik weitere revolutionäre Schritte, die den permanenten Aufbruch, den Charakter der Bewegung in sich tragen und eine Erkaltung der revolutionären Glut verhindern sollen. Innere und äußere Gegner dieses revolutionären Dauerprozesses müssen bekämpft werden, denn gerade Abweichler verraten die reine Lehre.

Somit war klar: Bürgerrechtsbewegungen, Friedensinitiativen oder gar freie Parteigründungen waren in der DDR undenkbar und ein Angriff auf den Aufbau des Kommunismus. Also eine Angelegenheit der Stasi, dem „Schild und Schwert der Partei“.

So ist es auch im Nachgang nicht verwunderlich, dass die Stasi bei Gründung der SDP in der DDR am 7. Oktober 1989 – dem Staatsgründungstag der DDR - mit am Tisch saß. Ibrahim Böhme, einer der Leitfiguren der neuen SDP war aktiver IM, ein „Genosse Judas“, wie ihn die Autorin Birgit Lahann bezeichnete. Durch die Berichte von Böhme war das MFS über alle Vorgänge zur Gründung der SDP bestens unterrichtet, so dass sich die Frage stellt, warum die Staatssicherheit eigentlich nicht energischer einschritt, um diese Parteigründung zu verhindern. Denn die Vorbereitungen zur Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR liefen ja schon längere Zeit, gingen als Vorhaben im Geiste auf das Jahr 1982 zurück, als Markus Meckel und Martin Gutzeit, die beiden Hauptbegründer der SDP, im Friedenskreis Vipperow in Mecklenburg aktiv waren.

Dass die Stasi quasi zusah, wie sich die SDP gründete, überrascht umso mehr, weil die Gründung einer sozialdemokratischen Partei das Machtmonopol  der SED frontal angriff. Und zugleich unterschied sich die SDP von den anderen Neugründungen aus dem Umfeld der Bürgerbewegung, wie etwa dem Neuen Forum, durch ihren Anspruch, politische „Partei“ und nicht „Bewegung“ oder „Plattform“ zu sein. Das war ein Alleinstellungsmerkmal der SDP, das sicher auch dazu beitrug, dass die SDP sehr selbstbewusst auftreten konnte während der Wendezeit in der DDR und in Ost-Berlin.

Und dennoch nötigt mir all das Respekt ab, was damals von den Mitstreitern der SDP, aber auch von den Bürgerbewegungen in der DDR, geleistet wurde. Alles, was einst galt, war weg und musste quasi neu erfunden werden. Hinzu kam, dass die Menschen, die an den Runden Tischen wirkten, häufig ganz normale Berufe hatten, jedoch über keine staatliche Verwaltungserfahrung verfügten.

Die meisten politischen Akteure in dieser Zeit wollten eine bessere DDR. Überlegungen, wie die Vereinigung mit der Bundesrepublik zustande gebracht werden könnte, gab es im Herbst 89 kaum. Und auch die Losung bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig „Wir sind ein Volk“ stieß daher im politisierten Raum der Bürgerbewegung auf Ablehnung.

Erst die Aussicht auf demokratische Wahlen, die dann am 18. März 1990 (Volkskammer-Wahl) und am 6. Mai 1990 (Kommunalwahl) stattfanden, erzeugte einen neuen Druck auf die politischen Akteure. Runde Tische standen nicht zur Wahl. Vielmehr mussten politische Parteien gegründet werden, die den Willen der Wahlbevölkerung bündelten. Mit der Bildung von neuen Parteien neben der PDS nahm auch sofort der Einfluss der bundesrepublikanischen Parteien auf die neuen DDR-Parteien und verbliebenen Blockparteien zu. Zum einen mussten die Wahlkämpfe organisiert und finanziert werden. Und zum anderen kam es zum Export von professionellem Know-how von West nach Ost. So war dann auch der Weg zur Einheit vorgezeichnet. Denn die Parteien, die die Selbständigkeit der DDR behalten wollten, fielen beim Wahlvolk durch, wie die Wahlergebnisse zeigten. Einzige Ausnahme war die PDS. 

Nun war es keineswegs so, dass die neu gewählten Parlamente in der DDR ihre einzige Funktion darin sahen, den Wiedervereinigungsprozess einzuleiten. Sowohl in der Volkskammer als auch in der Berliner Stadtverordnetenversammlung zeichnete sich ab, dass es ein tiefes Bedürfnis nach neuen Verfassungen für die DDR und für Ost-Berlin gab.

Ich möchte mich hier nur auf Ost-Berlin konzentrieren. In West-Berlin gab es ja eine Verfassung. Die zu übernehmen, kam für die Stadtverordneten nicht in Frage. Interessant ist dabei die Begründung, die paradigmatisch von der Stadtverordneten Ingrid Köppe von Bündnis 90 in der 1. Sitzung des Einheitsausschusses der Stadtverordnetenversammlung gegeben wurde:

„Es sind schon, meines Erachtens, zwei ganz voneinander verschiedene Ziele, eine Ost-Berliner und eine Gesamtberliner Verfassung zu entwickeln. Ich denke auch nicht, dass wir davon ausgehen könnten – das klingt jetzt hier so an -, dass diese Ost-Berliner Verfassung vielleicht später die Gesamtberliner Verfassung werden könnte. Die Gesamtberliner Verfassung kann nur aus zwei Verfassungen entwickelt werden, also der West-Berliner und der Ost-Berliner Verfassung. Wenn wir uns da wirklich in diesen Einheitsprozess einbringen wollen, und wenn wir unsere Interessen ernst nehmen wollen, denke ich, muss es uns darum gehen, eine Ost-Berliner Verfassung zu machen. Und das ist eben nicht gemeinsame Sache von Ost und West, eine Ost-Berliner Verfassung herzustellen.“

Die Verfassung für Ost-Berlin sollte ein Vehikel für die Gleichwertigkeit beider Stadthälften werden. Das zeigen Köppes Worte deutlich. Und sie sprach damit den meisten Stadtverordneten aus der Seele. Denn am Ende des Prozesse stand eine Ost-Berliner Verfassung, die die Stadtverordnetenversammlung am 11. Juli 1990 beschloss. Ich denke sehr wohl, dass allein die Tatsache, eine eigene Verfassung zu haben, die Parlamentarier und Parlamentarierinnen in Ost-Berlin stolz machte. Sie konnten nun erhobenen Hauptes in die Verhandlungen gehen, die zur Wiederherstellung Berlins als Einheit kommen würden.

So geschah es dann ja auch. Mit welchen konkreten Schwierigkeiten das verbunden war, hat uns die Gesprächsrunde von vorhin aufgezeigt.

Ich danke Ihnen.
25 Jahre Stadtverordneten-Wahl:
Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin auf der Festveranstaltung zum 25jährigen Jubiläum der Konstituierenden Sitzung der Stadtverordnetenversammlung
Pressemitteilung vom 30.05.2015

Herr Präsident des Abgeordnetenhauses,
Damen und Herren Abgeordnete,
meine Damen und Herren,

die konstituierende Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am 28. Mai 1990 und die Wahl des Magistrats am 30. Mai 1990 sind Ereignisse von herausragender historischer Bedeutung für Berlin und weit darüber hinaus.

Erstmals seit Jahrzehnten hatten die Menschen in Ost-Berlin die Möglichkeit, ihren politischen Willen in freien und geheimen Wahlen auszudrücken. Dieses epochale Ereignis steht ein wenig im Schatten anderer großer geschichtlicher Wendepunkte von 1989 und 1990.

Ich freue mich deshalb, dass heute so viele Parlamentarier und Parlamentarierinnen der ersten Stunde unserer Einladung gefolgt sind und den Weg ins Rote Rathaus gefunden haben. Stellvertretend begrüße ich sehr herzlich deren damalige Präsidentin, unsere heutige Stadtälteste Christine Bergmann.

Hier, in diesem Saal, wählte die Stadtverordnetenversammlung am 30. Mai Tino Schwierzina zum Oberbürgermeister und dann die 14 Stadträte. Es war eine sagenumwobene Zeit. Und ich bin sicher, Sie alle, die damals dabei waren, können viele Geschichten und Anekdoten beisteuern.

Denn oft ist es so, wenn Geschichte geschrieben wird: Aus einem großen Ereignis werden im Laufe der Zeit viele persönliche Erlebnisse. Und ich freue mich darauf, dass wir heute noch einmal hören können, was in dieser spannenden Zeit geschah und wie Weichen für die Zukunft Berlins gestellt wurden.

Den konstituierenden Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung und des Magistrats gingen die Wahlen vom 6. Mai 1990 voraus. Es war die erste und gleichzeitig letzte Wahl der Berliner Stadtverordnetenversammlung zu DDR-Zeiten, die demokratischen Wahlgrundsätzen entsprach. Sie waren ein Echo der gefälschten Kommunalwahlen in der DDR vom 7. Mai 1989. Der Nachweis der Wahlfälschung war von zahlreichen mutigen Frauen und Männern der DDR-Bürgerrechtsbewegung geführt worden. Das war ein Triumpf des Freiheitswillens und der demokratischen Reife – und ein Fanal des Untergangs für die SED.

Einige der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler zogen 1990 in die Stadtverordnetenversammlung ein. Als demokratisch gewählte Volksvertreterinnen und Volksvertreter konnten sie nun das Erbe der Bürgerrechtsbewegung in konkrete Politik umsetzen. Das war ein sehr wichtiger, aber für manche sicher auch schmerzhafter Prozess.

Denn die ersten frei gewählten Stadtverordneten in Ost-Berlin seit 71 Jahren standen vor riesigen und zahlreichen Herausforderungen. Ein Höhepunkt war die Erarbeitung einer vorläufigen Verfassung für Ost-Berlin. Darin wurde der Schutz von Recht und Freiheit garantiert, aber auch nachdrücklich an Berlin als Hauptstadt eines geeinten Deutschlands festgehalten. Das war eine sehr bedeutende Festlegung für die Zukunft Berlins. Denn an ihr entschied sich die Perspektive der Stadt: „Boom-City oder Armenhaus?“: So titelte der Spiegel damals.

Heute können wir mit großer Dankbarkeit auf das Hauptstadt-Engagement der Stadtverordnetenversammlung und des Magistrat zurückschauen. Dieses Engagement wurde von den Menschen in der Stadt geteilt. Auch ihnen hat Berlin zu verdanken, dass der Bundestag am 20. Juni 1991 für Berlin als Parlaments- und Regierungssitz votiert hat. Dass Berlin von dieser Entscheidung nachhaltig profitiert, zeigte sich zwar mit einer gewissen Zeitverzögerung, aber dafür – wie wir heute wissen – umso nachhaltiger.

Meine Damen und Herren, im Mai 1990 galt es, auf allen Ebenen die Weichen für die Wiedervereinigung zu stellen. Das war politisch ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite die „alten Hasen“, langjährige Politprofis des West-Berliner Senats unter Walter Momper. Auf der anderen Seite (so schrieb eine Zeitung) politische Laien, die sich doch wie Profis zurechtfinden mussten. Hier Pragmatismus und Machtbewusstsein, dort Idealismus und Selbstbewusstsein. Das lief nicht ganz konfliktfrei ab. Aber doch eben auch erstaunlich gut. Statt drei West-Berliner Senatoren wurde nur einer in Ost-Berlin Stadtrat: Elmar Pieroth. Er brachte die Erfahrung von mehr als acht Jahren als West-Berliner Wirtschaftssenator in den Magistrat ein. Legendär seine Antwort auf die Frage eines Stadtverordneten, ob er Staatsbürger der DDR sei: „Nein, ich bin Deutscher im Sinne des Grundgesetzes.“

Lieber Herr Pieroth, ich freue mich, dass Sie heute hier sind.

Worin der Magistrat dem Senat mindestens ebenbürtig war, das war sein Arbeitseifer. Noch am Wahltag folgte die erste Sitzung, in der eine Tagesordnung mit elf Punkten abgearbeitet wurde. Und es zeigte sich schnell, dass dieser Magistrat ein paar ganz große politische Begabungen an Bord hatte. Allen voran Tino Schwierzina, der in der DDR Wirtschaftsjurist war, und sich als politisches Naturtalent erwies, wozu sicher auch seine Fähigkeit zählte, Optimismus und Zuversicht auszustrahlen.

Wie wir alle wissen, starb Tino Schwierzina leider schon Ende 2003. Aber ich freue mich, dass seine Frau heute hier ist. Herzlich willkommen, liebe Frau Schwierzina.

Die ersten Wochen Magistratsarbeit waren turbulent. Da hatten sich streikende Müllmänner durchaus bedrohlich vor dem Roten Rathaus postiert. Reichsbahner beklagten Unterversorgung (Zitat: „Wir fahren Westware und kriegen Scheißgeld“). Ein anderes Mal waren aufgebrachte Kulturschaffende in großer Zahl ins Rote Rathaus gezogen.

Vor allem galt es, gemeinsam mit dem West-Berliner Senat Berlins Infrastruktur zu vernetzen und zu modernisieren. Und dafür zu sorgen, dass die Wiedervereinigung Berlins möglichst reibungslos ablief. Da musste man sich zusammenraufen. Und das bedeutete auch, dass mancher in West-Berlin seinen Hochmut zügeln musste.

Dass das so gut klappte, war auch das Verdienst der beiden Bürgermeister. Tino Schwierzina und Walter Momper, den ich hier herzlich begrüßen kann: Ihr verstandet Euch gut. „Von Schwierzomper zum Magi-Senat“, titelte die Berliner Zeitung rückblickend. Das waren Begriffe, die damals in Berlin geläufig waren, aber außerhalb der Stadt kaum jemand verstand.

Vom Magistrat zum Magi-Senat waren es kaum vier Monate. Am 2. Dezember 1990 wurde dann ein neues Abgeordnetenhaus gewählt, es war die erste freie und demokratische Gesamt-Berliner Wahl seit mehr als sechs Jahrzehnten. Und am 24. Januar 1991 wurde Eberhard Diepgen erstes freigewähltes Stadtoberhaupt des wiedervereinten Berlin.

Die Herausforderungen blieben auch in der wiedervereinten Stadt gewaltig. Wir werden heute noch viel darüber hören.

Es gab keine Blaupause für die Wiedervereinigung Berlins. Es war, wie ein damaliger Senatssprecher sagte, „eine Operation am offenen Körper, und das ohne Betäubung.“

Sie alle können sehr stolz darauf sein, was Sie damals für Berlin und für die Menschen hier geleistet haben. Die Wiedervereinigung war eine einzigartige historische Leistung, die aus heutiger Sicht nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Sie haben die Weichen gestellt, dass das wiedervereinte Berlin heute eine weltoffene Metropole mit großer internationaler Anziehungskraft und ausgezeichneten Perspektiven ist. Deshalb ist es richtig, dass wir heute hier zusammenkommen und uns Ihre historischen Verdienste bewusst machen.

Dafür möchte ich Ihnen allen heute den Dank Berlins aussprechen. Jetzt freue ich mich auf anregende Gesprächsrunden, die diese bewegende Zeit wieder ganz nah ranholen werden.